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Altes und neues (Schlangen-)Blut

„Bạn ăn cơm chưa?“ – „Hast du heute schon gegessen?“ – lautet die geläufige Begrüßungsfloskel in Vietnam. Die Antwort darauf impliziert auch die Antwort auf westliche Standardfragen nach dem Befinden. Wenn man schon gegessen hat, dann geht es einem folglich gut.
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In einem von Krieg, Dürre und Überschwemmungen geplagten Land wird Essen eine enorme Bedeutung beigemessen; es ist mehr als nur Nahrungsaufnahme – es ist ein kulturelles Ereignis, eine Weltanschauung, es ist Glück. Und wenn sensible Mägen sich beim Anblick von gegrillten Hunden, Kröten oder Fledermäusen und filetierten Cobras empört zusammenziehen, muss man sich dieses Hintergrundes bewusst sein.
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Als ich 2007 das letzte Mal hier in Vietnam war, um für einen Reisebericht zu recherchieren, probierte ich mich durch die Küche. Auch durch die ungewöhnliche. (>nicht zuletzt, weil ich  u.a. auch für ein „Gourmet-Reise“-Magazin schrieb). Gedruckte Erinnerungen, Teil 2:
„Phong grinst schelmisch, als er den „Langnasen“ mit einem Gläschen Schlangenblut zuprostet. Hier zu sitzen mit dem blutroten Getränk in der Hand, umgeben von großen Glasballons gefüllt mit in Reisschnaps eingelegten Schlangen fühlt sich unwirklich an. Die Fahrt nach Le Mat – ins Schlangendorf – war schon unwirklich. Der junge Fahrer verstand unser Anliegen nicht; auch nicht, nachdem wir ihm den Zettel, auf dem Ot, unser Reiseleiter, ihm zuvor speziell unser Anliegen inklusive Preis auf Vietnamesisch aufgeschrieben hatte – er konnte nicht lesen. Er fragte sich durch – bei Passanten und Taxifahrern – und schlussendlich hielten wir in einer dunklen Gasse, stiegen aus. Aus einem der Gebäude kam uns zugleich die Restaurantbesitzerin entgegen, bat uns herein. Wieder zeigten wir den von Ot beschriebenen Zettel – dieses Mal die Rückseite, auf dem unser (fraglicher) Speisewunsch und der erwünschte Maximalpreis drauf gekritzelt waren. 100.000 Vietnamesische Dong – in etwa 5 Euro – mehr zahlen wir nicht! Die Geschäftsfrau schüttelte den Kopf. Wir zeigten erneut den Zettel, mimten zu gehen – die Auswahl solcher Restaurants ist groß im Schlangendorf, am Ostufer des Roten Flusses. Man einigte sich, trat ein. Zwei Männer kamen hinzu.
Mit der Zigarette in der Hand öffnete einer von ihnen den Schlangenkäfig. Ich begann meine Experimentierfreudigkeit zu hinterfragen. Er präsentierte uns die Cobra; in der anderen Hand immer noch die Zigarette. Die Cobra überstieg den vorher ausgehandelten Preis; nur die „Hausschlange“ entsprach unserem Budget. Nun denn – die Frau nahm ein Messer und schnitt die Schlagader durch; Schlangenblut rann in das darunter stehende Glas. Minuten später baumelte das Tier an einem Haken. Ein routinierter Griff zur Schere, die Haut löste sich. Die Dame führte uns in Obergeschoss, vorbei an mystisch anmutenden Hausaltären. Und nun sitzen wir hier mit dem Gläschen in der Hand und einem mehrgängigen Schlangenmenü aufgetischt. Traditionell wird das Fleisch auf sieben verschiedene Arten zubereitet, u.a. als Filet, Hackfleisch, kurz gebraten oder als in Wasserspinat gewickeltes Röllchen. Kenner behaupten, das Fleisch erinnere an den Geschmack von Hühchen. Meine Meinung: tut es nicht. Aber der Kopf spielt einem hier übel mit.  Wer kann nach diesem Anblick noch genussvoll schlemmen? Phong wartet immer noch. Ich proste zurück. Gänsehaut läuft meinen Rücken rauf und runter. Ich möchte nicht unhöflich sein, trinke. Es ist eine Mischung aus Blut und hochprozentigem Alkohol; der Schnapsgeschmack dominiert. Als besondere Delikatesse und äußerst belebend gilt es, das Herz – am besten noch zuckend – mitzutrinken. Erneute Schauer durchlaufen mich. Willkommen in Vietnam. Natürlich hat der jüngste aufstrebende Tigerstaat mittlerweile auch westliches Essen in allen Variationen zu bieten. So wie er auch sonst wenig (Touristen-)Wünsche offen lässt.“
In den vergangen 6 Jahren hat sich in Vietnam viel getan. Heute lese ich im Vietnam-„Reise Know-How“-Reiseführer (der übrigens absolut top ist!) über Le Mat folgendes: „Von dem berühmten Schlangedorf am Ostufer des Roten Flusses, dessen Bewohner seit Generationen Reptilien aller Art – je giftiger desto besser – sammeln, züchten und wahlweise, die Übergänge sind fließend, zu Gaumenschmaus oder Medizin verarbeiten, ist nicht mehr viel übrig. Das ,Dorf’ ist eine Vorstadt geworden, es kamen strengere Gesetze.“
Nur ein Beispiel, wie die Zeit hier in Vietnam vieles rasant verändert(e). Kein Wunder: das Land lässt auch heute wenig/kaum Wünsche von Reisenden (den Begriff „Touristen“ mag ich mittlerweile nicht mehr so gerne; für unsere Karmalaya-Reisen sowieso nicht!) offen. Und ist dennoch noch viel ursprünglicher (auch „ursprünglich“ gehört nicht zu meinen Lieblingsadjektiven, weil es schon sehr überstrapaziert ist, aber es stimmt in diesem Fall doch irgendwie) als zum Beispiel Thailand.
Aufgrund des erst 1994 aufgehoben US-Boykotts war das Land jahrzehntelang von der Außenwelt abgeschnitten. Heute zählt Vietnam zu einem der sich am schnellsten verändernden Länder der Welt. Das bringt Vorteile mit sich (vor allem für viele einheimische Menschen). Und Nachteile auch. Vor allem, wenn man als Reisender vergleicht. „Damals war es aber noch viel ruhiger hier“, etc. Ich schäme mich selbst, wenn ich mich bei solchen Gedanken (leisen oder ausgesprochenen) ertappe. Es ist klar, dass sich hier viel tut. Und es ist auch das gute Recht der Menschen aufzuholen. In Riesenschritten. Ich finde es selbst immer anmaßend, wenn wir Westler uns über hässliche Satellitenschüsseln, Strommasten oder Fernsehantennen in z.B. nepalesischen Dörfern aufregen. Ja, das ist Entwicklung. Ja, die Menschen haben ihr gutes Recht auf Fortschritt – man braucht den Fortschritt nicht beweinen. Wir leben in Österreich z.B. auch nicht mehr alle in Hütten ohne Strom auf den Bergen (nein, wirklich nicht). Und auch in Dirndln laufen nicht mehr alle rum (nochmal: nein, wirklich nicht). Vielleicht stört es uns im Ausland aber genau deshalb: weil wir den guten alten Zeiten nachtrauern. Auch wenn (oder gerade weil) wir die guten alten Zeiten selbst als junge Menschen so nie erlebt haben.
Halong-Bucht
Als wir in der Halongbucht sind, ertappe ich mich dennoch wieder bei diesem Gedanken: „Damals war es aber…“. Was? Es ist immer noch wundervoll in der Halongbucht! Traumhaft! Die tausenden, dschungelverwucherten Kalksteininseln der Bucht zählen zu den absoluten Highlights (so genanntes „must see“) von Vietnam und wurden 1994 zum Weltnaturerbe ernannt. Als ich frühmorgens auf unserem Boot aufwache, schweift mein Blick direkt in die Bucht. Sonnenaufgangsstimmung. Kitsch pur. Romantik pur.
Romantische Halongbucht
Nur sehe ich heute, als Gründerin von Karmalaya, einem zur Nachhaltigkeit und „social travel business“ bekennenden Reise-/Voluntourismus-Unternehmen, ergänzend zum Schönen und Kitschigen, vieles kritischer. Nicht nur ich. Auch die Umweltberatungsfirma ESSA, die gemeinsam mit der Weltbank eine Untersuchung für die Regierung der Provinz Quang Ninh, zu der die Halong-Bucht gehört, durchgeführt hat, schreibt: „Die Region leidet unter steigender Verschmutzung durch zunehmende Industrialisierung, städtische Entwicklung, Kohlebergbau und Tourismus.“
Und die Deutsche Welle Anfang des Jahres: „Die Gefahren für das Weltnaturerbe kommen von allen Seiten. Die Region ist ein Tourismusmagnet. Hunderttausende Reisende kommen jährlich und hinterlassen ihren Müll, der aufgrund der fehlenden Strömung noch Jahre später in der Bucht schwimmt. Immer mehr Einheimische ziehen in die Region, da der Tourismus und vor allem die reichen Kohlevorkommen Arbeit versprechen. Der wachsende Energiehunger Vietnams und Chinas haben den Abbau förmlich explodieren lassen. Die Provinzstadt Cam Pha ist seitdem vom Kohlestaub bedeckt. Er legt sich als schwarzes Pulver auf die Straßen und Häuser, landet im Essen und knirscht zwischen den Zähnen.“
In Schwellenländern wie Vietnam kollidiert der Umweltschutz oft mit kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen. Dennoch gibt es ein langsames Umdenken. Queyen Vu, die Direktorin der ersten unabhängigen Umweltorganisation Vietnams sieht vor allem in der jüngeren Generation einen positiven Trend und mehr Wachsamkeit bei Umweltfragen. Mit ihr wollen wir, Karmalaya, in Zukunft unter anderem auch vernetzt zusammenarbeiten – um noch größere Fortschritte im Umweltbewusstsein zu schaffen. Viel Aufklärungsarbeit ist notwendig. Und viele Volunteers werden hier, gemeinsam mit vietnamesischen Volunteers, einen Beitrag leisten können. Wir freuen uns jetzt schon darauf. Auch auf die Herausforderung, eine ganz besondere VolunTour für unsere Reisenden zu kreieren. Die Tour wird sie auf unsere aktuellen Spuren führen – nur noch ausgewählter. Insgesamt sind wir fast 1 Monat in Vietnam – auch unseren Reisenden werden wir die Tour für diese lange Zeitspanne anbieten. Langsam reisen. Genießen. Erleben. Eintauchen. Reisen, wie es Spaß macht. Und Sinn.
Vietnamesische Küche
Mittlerweile ist Tag 19 unserer Recherche in Vietnam und wir sind heute in Dalat, im zentralen Bergland Vietnams, angekommen. Nach wundervollen und eindrucksvollen Tagen in Hoi An – mit vielen Outdoor-Aktivitäten.
Tina Basket Boat

Fischen
Davor waren wir in Sa Pa, ganz im Nordwesten, wo wir bei einer einheimischen Bergfamilie übernachteten. Das Bergvolk der Roten Dao ist berühmt für ihre leuchtend roten Kopftücher. Die Menschen leben von der Landwirtschaft, vorwiegend vom Reis-, Mais- und Gemüse-Anbau.
Homestay in Sapa
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Morgen werden wir Dalat weiter unter die Lupe nehmen. Dalat ist eine ehemalige französische Bergstation, früher „das kleine Paris“ genannt, und liegt im zentralen Bergland 308 km nordöstlich von Ho Chi Minh Stadt. Auf 1.500 Höhenmetern gelegen ist es hier wesentlich kühler, was wir nach vielen feucht-heißen Tagen gerade sehr genießen. Generell sieht es hier recht „heimisch“ aus: viele Wälder und Seen. Sogar Erdbeeren wachsen hier. Eine ganz andere Seite Vietnams, schon wieder. Das Land überrascht uns jeden Tag aufs Neue mit seiner Vielfalt.

Die weitere Planung:

  • 3.11.:

    Weiterfahrt nach Ho-Chi-Minh / Saigon > Sightseeing, Nightlife

  • 4.11.: Geschichte > Besichtigung der Cu Chi-Tunnel

  • 5.11.: Richtung Mekong-Delta; Dorf- und Fischerleben

    ca.

  • 6.11.-11.11.: Insel-Check Phu Quoc – ist das der beste Verlängerungsort für unsere Reisenden/Volunteers? Wir werden es herausfinden.

Am 12. 11. reisen wir weiter in unsere Kerndestination Nepal. Ein Stück „Heimat“ – nach der langen Zeit weg von Zuhause.
p.s. es tut mir sehr leid, dass ich nicht öfter Zeit zum Bloggen finde und viele Orte, Themen, Projekte daher aktuell oft nur gestreift werden. Die Zeit in den Projekten und die Gespräche mit den Menschen hier haben aktuell mehr Priorität. Wir versuchen euch dennoch an unseren Erfahrungen so gut als möglich teilhaben zu lassen. Gerne beantworte ich auch Fragen persönlich > einfach eine Mail schicken an: tina.eckert@karmalaya.com. Freu mich immer über Austausch. Übrigens: auf unserer Facebook-Seite sind wir mit den Fotos zu unserer Karmalaya-Tour ein bisschen aktueller und „üppiger“ – es lohnt sich auf jeden Fall ein Klick. Bis bald!
te – tina eckert